Wir brauchen Kühe. Und dazu gehört das Schlachten.

Florianne Koechlin, TagesWoche, Freitag, 19.9.2014


Der Philosoph Markus Wild meint im Interview in Ausgabe 37 der TagesWoche, dass das Töten von Nutztieren Tierrechte verletze (falls es keine Alternativen gibt). Folglich sei das Töten von Kühen zu verbieten.

Das sehe ich anders.

Die Schweiz ist ein Grasland. Auf Alpweiden und in vielen Gebieten der Voralpen wächst nur Gras, andere Pflanzenkulturen können hier nicht angebaut werden. Nur Kühe, Schafe und Ziege können Gras in wertvolle Proteine, also in Milch, Käse oder auch Fleisch umwandeln. Wir Menschen können Gras nicht verdauen. Dazu brauchen wir die Wiederkäuer. Ich gestehe, dass ich selber gerne Fleisch esse, ein, zwei oder drei Mal pro Woche. Ohne schlechtes Gewissen. Warum sollten wir diese wertvollen Lebensmittel vergeuden?

Es geht aber um mehr als bloss Lebensmittel. In Aegypten besuchten wir vor ein paar Jahren das Landwirtschaftsprojekt Sekem. Sekem wird biologisch-dynamisch geführt, beschäftigt etwa 2000 Angestellte und produziert Lebensmittel, Heilkräuter und Baumwollkleidung.

Wir erfuhren, wie sie aus einer öden Wüste fruchtbare Oasen kreieren, ohne ein Gramm Kunstdünger und ohne Pestizide: Zuerst bohren sie nach Wasser, dann pflanzen sie im Kreis um das zukünftige Feld herum robuste Nadelbäume (Kasuarinen). In einem weiteren Schritt reichern sie den Sandboden mit viel Kompost an. Guter Kompost ist neben Wasser das Wichtigste. Er macht den Boden fruchtbar und speichert das Wasser.

Für die Kompostproduktion haben sich die Sekem-Verantwortlichen eine Wasserbüffelherde – später eine Herde Allgäuer Braunvieh – angeschafft, denn Kuhmist ist für guten Kompost unabdingbar. Nur ein Kompost mit Kuhmist ergibt im Boden einen stabilen Humus. In das Humus-Sand-Gemisch pflanzen sie die ersten, widerstandsfähigen Pflanzen: Kamille, Gerste und Klee. Später folgen Karkade, Basilikum oder Pfefferminze. Milch, Käse und Fleisch, sagten die Projektverantwortlichen, seien zweitrangig, ein ‚nice-to-have’.

Unsere Landwirtschaft hier funktioniert ähnlich. Natürlich können Pflanzenkulturen allein mit Kunstdünger angebaut werden, ohne Kuhmist und ohne Fruchtfolgen. Doch bei dieser Bewirtschaftung nimmt die Humusschicht Jahr für Jahr ein wenig ab. Einzig beim Biolandbau mit Wiederkäuern, wo Kuhmist zur Düngung und für den Kompost verwendet wird, kann die fruchtbare Humusschicht im Boden  tatsächlich aufgebaut werden – und es gibt trotzdem einen guten Ertrag.

Das Problem in der heutigen Landwirtschaft ist die totale Trennung von Viehwirtschaft und Ackerbau, wie wir sie weltweit immer öfter antreffen. Auf der einen Seite riesige Kuhherden, intensive Schweinemast, von Hühnern gar nicht zu sprechen, wobei viel zu viel Gülle anfällt. Auf der andern Seite gigantische Monokulturen ohne Viehwirtschaft. Dort fehlt die Gülle zur Düngung der Felder. Stattdessen wird synthetischer Dünger in grossen Mengen eingesetzt.

Die Kunst einer zukunftsträchtigen Landwirtschaft ist es also, in Kreisläufen oder Netzwerken zu denken. Wir müssen endlich aufhören, alles isoliert zu betrachten. Weder die molekularbiologische Optimierung des Systems Kuh (wie in der Industrielandwirtschaft) – noch die Forderung nach einem Tötungsverbot von Kühen (was einer Abschaffung von Kühen gleichkäme), können eine Lösung sein.  Wir sind auf Wiederkäuer angewiesen. Die Frage ist, wie wir mit ihnen umgehen.

Damit sind wird beim grossen Tabu-Thema: dem Schlachten.

Anet Spengler Neff wohnt in Arlesheim und hat eine zwölfköpfige Schafherde. Jeden Frühling tollen hier auf der Weide eine Handvoll übermütiger Lämmer herum – ein herzerwärmender Anblick. Ich fragte sie, wie sie es über sich bringen könne, Schafe zur Schlachtung zu bringen, wo sie doch so mit ihnen verbunden sei? Sie sagt, ihr sei wichtig, dass ihre Schafe ein gutes Leben – also ein artgerechtes Leben – führen können, dafür trage sie die Verantwortung. „Es kommen immer wieder junge Schafe nach, jeden Frühling. Ich muss dafür schauen, dass die Herde als Ganzes -  vergleichbar mit einem grossen  Organismus -  in Balance ist, ich muss zur Herde als Ganzes Sorge tragen, so dass die Tiere so gut wie möglich leben. Das bedeutet letztendlich, dass ich auch die Verantwortung für den Tod einiger Tiere habe, immer wieder.“ Und sie fährt fort: „Bevor ich ein Schaf schlachten lasse, rede ich mit ihm, sage ihm, dass es schnell gehen wird. Das Schaf mag mich verstehen oder auch nicht – meine langjährige Erfahrung ist, dass das Schaf mich dann ruhig zum Metzger begleitet.“

Anet Spengler ist Wissenschaftlerin am Forschungs-Institut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick. Ihr Team konnte nachweisen, dass Milchkühe, die eine gute Beziehung zum Bauern haben, weniger Ausweichverhalten gegenüber den Menschen zeigen und seltener an Euterentzündungen leiden. Weiter zeigte sich, dass Kälber aus Mutterkuhhaltung, die in den ersten Tagen nach der Geburt öfters gestreichelt werden, ihr Leben lang zutraulicher und bei der Schlachtung deutlich ruhiger sind. Dadurch ist ihr Fleisch zarter, denn die Tiere hatten weniger Stress. Das FiBL-Team arbeitet nun mit Schlachthöfen zusammen, um herauszufinden, wie sich der letzte Gang für die Tiere möglichst schonend und stressfrei bewerkstelligen lässt.

Ihr Grundanliegen ist: Wie können wir den Wiederkäuern ein möglichst gutes, also artgerechtes Leben gewähren? Und weil der Tod zum Leben gehört: Was können wir beim Schlachten verbessern, wie diesen letzten Schritt stressfrei gestalten?

Mich stört massiv, dass wir uns bei der Diskussion um das Töten von Nutztieren aus  den vielfältigsten Beziehungsgeflechten herausnehmen und das Ganze auf eine einzige Frage einengen.

Wir brauchen Kühe, wir brauchen Geissen und Schafe. Wir brauchen sie, um Gras in wertvolle Lebensmittel zu verwandeln, den Boden gesund zu halten und Humus aufzubauen. Wir brauchen sie auch, um die Alpen mit ihrer kulturellen und ökologischen Vielfalt zu erhalten.

Als Kind besuchte ich in den Ferien in den Bergen jeden Abend unseren Nachbarbauern, um die Milch zu holen, und blieb oft lange Zeit bei den Kühen. Das war nicht bloss unterhaltsam, sondern es hat mich geprägt. Auch das ist wichtig.

 

Der ehemalige Forstwart Allan Savory aus Simbabwe wusste, dass in früheren Zeiten riesige Wildtierherden – Gazellen, Büffel oder Antilopen – in heute versteppten Gebieten seiner Heimat fruchtbare Weiden vorfanden. Die Herden waren ständig auf Wanderschaft; Raubtiere sorgten durch die Auslese schwacher und kranker Tiere für gesunde Herden. Dieses Beweidungsverhalten der Wildtierherden ahmt das ‚Holistic Management’ von Allan Savory nach: Grosse Wanderherden – Kühe, Schafe, Ziegen – fressen das spärliche Gras und aufkommende Büsche, düngen den Boden und stampften ihn vieltausendmal fest. Das schafft ideale Bedingungen für die Keimung von Grassamen. Benötigt werden also mehr Weidetiere und nicht weniger – und eine sorgfältige , den gegebenen Verhältnissen angepasste Weidehaltung, die garantiert, dass Weiden weder über- noch unternutzt werden. Holistic Management hat weltweit in vielen von Dürre bedrohten Weidegegenden wieder grüne Oasen geschaffen. Die Methode stösst allerdings in Wissenschaftskreisen auch auf Kritik.

Tatsache ist: Die weltweit fruchtbarsten Böden – die Kornkammern in der Ukraine, der nordamerikanischen Prärie oder der Magdeburger Börde – sind allesamt ehemalige Steppenböden, die über Jahrtausende nachhaltig beweidet wurden. Erst die Tiere bildeten die Grundlage für den Aufbau humusreicher Böden. Das Gras benötigt das Gefressenwerden durch Weidetiere sowie auch ihren Kot, damit der Kreislauf, über Millionen Jahre entstanden, sich schliesst und die Grasgegenden und Böden gedeihen. Beim Holistic Management ist der Mensch wieder Teil des Kreislaufes geworden.

(Aus: Jenseits der Blattränder. Eine Annäherung an Pflanzen.’ Hg.F.Koechlin, 2014, S.34 und www.savoryinstitute.com und TED-Gespräch mit Allan Savory